»Der Vertrag über die Europäische Union und der Vertrag über die Arbeitsweise
der Union werden keinen Verfassungscharakter haben: Der Ausdruck ›Verfassung‹
wird nicht verwendet.« Darauf hatte sich der Europäische Rat bereits im Juni
2007 geeinigt. In der von ihm einberufenen Regierungskonferenz wurde denn auch
nur ein Reformvertrag zur Änderung der bestehenden europäischen Verträge
ausgearbeitet. Beraten wurde er, wie es bereits bei den vorangegangenen
Vertragsänderungen von Maastricht, Amsterdam und Nizza der Fall war, einmal mehr
hinter verschlossenen Türen.
Arbeitet man sich nun mühsam durch die Formulierungen dieses Reformvertrags,
so stellt man am Ende fest, dass er sich inhaltlich so gut wie nicht vom
gescheiterten Verfassungsvertrag unterscheidet. Es ist der sprichwörtliche alte
Wein in neuen Schläuchen! Nehmen wir etwa die Wirtschaftspolitik: Die seit
Maastricht im EG-Vertrag stehenden und in den Verfassungsvertrag übernommenen
neoliberalen Inhalte bleiben unverändert erhalten. Keine Rede ist mehr von einem
Sozialprotokoll, das selbst Kanzlerin Merkel dem Verfassungsvertrag nach dessen
Scheitern in Frankreich und in den Niederlanden noch beifügen wollte. Allein bei
den Werten der Union verzichtet man auf die Herausstellung »eines Binnenmarktes
mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb«. Damit aber klar ist, dass sich damit
inhaltlich nichts ändern soll, wird sogleich ein Protokoll angefügt, wonach zur
EU »ein System gehört, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt«.
Erhalten bleiben auch die Vorschriften des Verfassungsvertrages zur weiteren
Militarisierung. Hier findet sich der berüchtigte Satz aus dem
Verfassungsvertrag wieder, wonach sich »die Mitgliedstaaten verpflichten, ihre
militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern«. Auch bleibt es bei der
vertraglichen Verankerung der Rüstungsagentur.
Was das Demokratiedefizit der EU angeht, so wird es vom neuen Reformvertrag
so wenig wie vom alten Verfassungsvertrag beseitigt. Weder erhält das
Europäische Parlament ein Initiativrecht zur Einbringung eigener
Gesetzesvorhaben, noch soll eine echte Wahl des Kommissionspräsidenten durch das
Parlament stattfinden können. Bei der Neuregelung des Abstimmungsverfahrens im
Rat bleibt es bei der Umstellung auf das demografische Prinzip. Der Gewinner
wird Deutschland sein, das seinen Anteil auf Kosten der kleineren Länder mehr
als verdoppeln kann.
Der Reformvertrag weist nur wenige, vergleichsweise geringfügige
Verbesserungen auf. Hierzu zählen einige Bestimmungen, in denen die
Souveränitätsrechte der Mitgliedstaaten gegenüber dem Machtanspruch Brüssels
verteidigt bzw. gestärkt werden. So wird die den nationalen Parlamenten
eingeräumte Frist für Subsidiaritätskontrollen geringfügig von sechs auf acht
Wochen verlängert. Und es wird ein neues Protokoll über Dienste von allgemeinem
Interesse geben, in dem »die wichtige Rolle und der weite Ermessensspielraum der
nationalen, regionalen und lokalen Behörden« hervorgehoben werden.
Angesichts der weitgehenden Identität von Verfassungs- und Reformvertrag
behält die Grundsatzkritik von links ihre Gültigkeit. Aktuell bleiben etwa der
Parteitagsbeschluss der PDS vom Oktober 2004, die verschiedenen Erklärungen der
Fraktion der Linken im Europaparlament (GUE/NGL) aus Anlass von
Parlamentsbeschlüssen zum Konventsentwurf bzw. Verfassungsvertrag und das
Memorandum für eine demokratische, freiheitliche, soziale und Frieden sichernde
EU von Gregor Gysi und Oskar Lafontaine aus dem Januar 2007. Vor allem besteht
die Forderung nach Volksabstimmungen in allen Mitgliedsländern weiter.