In Cottbus begann das 2. Sozialforum in Deutschland. Hohes Niveau der Debatten. Bis Sonntag gibt es 160 Veranstaltungen. In Junge Welt, 20.10.2007Klösterliche Vorhut
Donna San Floriante
Unter dem Motto »Die bessere Welt gestalten«
begann am Donnerstag das 2.Sozialforum in Deutschland. In der
Stadthalle Cottbus sprach zur Eröffnung unter anderem die
Schriftstellerin Daniela Dahn. Sie ging der Frage nach, ob man
Deutschland heute noch als Demokratie bezeichnen könne. Angesichts der
zunehmenden Entmachtung des Souveräns in immer mehr
Gesellschaftsbereichen und seiner Ausgrenzung aus immer mehr
Entscheidungsprozessen kam Dahn zu einem beunruhigenden Befund: Die
Demokratie sei bereits in einem fortgeschrittenen Stadium der Erosion,
die Macht des Kapitals entziehe ihr zunehmend den Boden.
Eine
Illustration dieser Einschätzung lieferte am Freitag der
Europa-Abgeordnete Tobias Pflüger. Die EU trete immer deutlicher als
imperialer Akteur auf, sagte er. Man dürfe die militärische Rolle
Europas nicht länger unterschätzen. Gleichzeitig sei den
EU-Parlamentariern nahezu jede Möglichkeit einer effektiven Kontrolle
der EU-Außenpolitik genommen, schon durch mangelnden Zugang zu
verläßlichen Informationen.
Pflüger warnte, der Lissabon-Vertrag
sei lediglich die gescheiterte EU-Verfassung in neuer Verpackung. Mit
diesem »Reformwerk« würden Neoliberalismus und Militarismus
festgeschrieben und der Charakter der EU grundlegend verändert.
Insgesamt
160 Veranstaltungen werden auf diesem 2. Sozialforum in Deutschland
angeboten. Sie reichen von aktionsorientierten Vorbereitungstreffen –
etwa zur antifaschistischen Arbeit in Wahlkämpfen und zu
Strategiefragen in der Zusammenarbeit von Gewerkschafts- und
Ökologiebewegung – bis hin zu eher analytischen Fragen, beispielweise
nach der Entwertung der Arbeit im globalisierten Kapitalismus. Neuartig
speziell für die Linke in Deutschland dürfte ein Veranstaltungsblock
über »(Selbst-)Verwirklichung, Psychologie und Grenzgebiete der
Wissenschaft« sein. Gerade diese Veranstaltungen überraschten durch ihr
hohes Debattenniveau und eine nicht unbedingt zu erwartende Praxisnähe.
Daß
Laboratorien eines besseren und solidarischen Lebens und die
Erfahrungen der Kommunebewegung unverzichbar seien, wurde insbesondere
mit Blick auf die zunehmende »Durchkapitalisierung des menschlichen
Alltags« betont. Mehrere Redner und Rednerinnen wiesen darauf hin, daß
für viele alternative Lebensprojekte der Punkt gekommen sei, an dem man
mit Erfahrungen und den entstandenen experimentellen Freiräumen als
Basis die Nische verlassen und in die Gesellschaft wirken müsse. Ein
Teilnehmer sprach von »Klöstern des Kommunismus«, aus denen heraus man
beginnen müsse, die umliegende Region zu beeinflussen.
Ein
Höhepunkt dürfte die Besucher am Samstag erwarten, wenn von 9 bis 11
Uhr u. a. Katja Kipping (Linke), Otmar Schreiner (SPD) und Krista Sager
(Grüne), der Berliner Politologe Professor Peter Grottian und Peter
Wahl von ATTAC in der Stadthalle über das Verhältnis von politischen
Bewegungen und Parteien diskutieren.
Die »gefühlte
Teilnehmerzahl« ist aufgrund von sieben verschiedenen
Veranstaltungsorten in ganz Cottbus und vielen gleichzeitigen Angeboten
nicht immer überzeugend. Insgesamt werden aber über 1000 Teilnehmer
erwartet. Sie können sich auf Diskussionen auf hohem Niveau, mit klarem
Praxishintergrund und von unbestreitbarer strategischer Relevanz freuen.
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