Nein zum Reformvertrag. Von Sahra Wagenknecht
Von Beginn an war klar, dass die deutsche EU-Ratspräsidentschaft
öffentlich daran gemessen werden würde, ob es Angela Merkel gelingt,
dem Verfassungsprozess neues Leben einzuhauchen. Nach der
Regierungskonferenz in der Vorwoche konnte die Kanzlerin nun mit
stolzgeschwellter Brust ihren Erfolg verkünden: Der deutschen
Ratspräsidentschaft ist es gelungen, die Verfassung zu retten. Denn
nichts anderes ist das, was jetzt als Reformvertrag verkauft wird. Der
Name hat sich gewandelt, der Inhalt jedoch bleibt fast vollständig
gleich: Es gibt keine Änderung an der neoliberalen Ausrichtung des
Vertrags, Wettbewerbsorientierung und Militarisierung sind weiterhin
Programm. Der Erfolg der Bundesregierung ist deshalb ein
niederschmetterndes Ergebnis für die Menschen in der EU. Ein soziales,
gerechtes und demokratisches Europa rückt in weite Ferne.
Die massiven Auseinandersetzungen vor dem Gipfel können nicht
darüber hinwegtäuschen, dass es bei der Ausrichtung des Vertrags kaum
Differenzen zwischen den Regierungen gibt. Der neoliberale Inhalt der
Verfassung, der maßgeblich zum negativen Votum der Bevölkerung in
Frankreich und den Niederlanden geführt hatte, stand nie zur Debatte.
Im Gegenteil: Er sollte auf Biegen und Brechen bewahrt werden. Um die
Kritik zu bannen, brauchte es allerdings kosmetische Änderungen. Da ist
es ein geschickter Schachzug, auf Betreiben des französischen
Präsidenten Sarkozy zwar den Verweis auf den freien und unverfälschten
Wettbewerb als Ziel der EU am Anfang des Vertrags herauszunehmen – die
Substanz jedoch mit Hilfe eines Zusatzprotokolls durch die Hintertür
genauso verbindlich wieder in den Vertragstext hineinzubekommen.
Frohlockend stellte der europäische Unternehmerverband Businesseurope
am Ende fest, dass seine Vorschläge umgesetzt worden seien, und
Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes erklärte, dass die Änderung
keinerlei Einschränkung für die Politik bedeute.
»Europa gelingt gemeinsam«, so lautete das Motto der deutschen
Ratspräsidentschaft. Dass sich diese Parole aus Regierungssicht nicht
gerade auf die Bevölkerung bezieht, wird dadurch unterstrichen, dass
Volksabstimmungen über das Vertragswerk nach seiner Umbenennung unnötig
werden. Dies dürfte bei allen Regierungen Erleichterung auslösen,
schließlich waren es die unbotmäßigen Abstimmungsergebnisse der
französischen und niederländischen Bevölkerung, die die
Verfassungskrise der EU erst ausgelöst hatten. Diese Gefahr ist nun
gebannt – demokratischer wird die EU so aber nicht.
Was der Öffentlichkeit als Erfolg der deutschen Ratspräsidentschaft
präsentiert wird, ist nichts anderes als die Neubestätigung einer
verfehlten Politik. Vertan wurde die Chance, endlich eine Änderung des
Kurses einzuleiten. In ihrer Bilanzrede vor dem Europäischen Parlament
äußerte Angela Merkel die Hoffnung, dass man in 50 Jahren auf 2007
zurückblicken und denken werde, dass die Weichen damals richtig
gestellt worden seien. Es steht zu hoffen, dass die Menschen sich nicht
50 Jahre Zeit nehmen werden, um ihr Urteil zu fällen. Dass die Änderung
einer Politik, die vor allem den Profitinteressen der Großkonzerne
dient und die Bedürfnisse der Bevölkerung hintanstellt, mehr als
überfällig ist, lässt sich auch heute erkennen. Widerstand gegen den
Reformvertrag bleibt deshalb so nötig wie gegen die Verfassung! (Quelle: Neues Deutschland, 29.06.2007)
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