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"Ein neuer Umschlag". Über den Versuch der europäischen Regierungschefs, die gescheiterte EU-Verfassung als Reformvertrag wieder aufleben zu lassen. Von Sahra Wagenknecht


Stolz verkündete Angela Merkel nach dem Brüsseler EU-Gipfel Ende Juni den größten Erfolg der deutschen EU-Ratspräsidentschaft: Unter deutscher Führung war es gelungen, das endgültige Scheitern des Verfassungsprozesses zu verhindern. Aus der Taufe gehoben wurde von den europäischen Regierungschefs der so genannte Reformvertrag, ein Vertragswerk, das zwar nicht mehr Verfassung heißt ansonsten aber de facto gleich geblieben ist.
 
Denn nichts anderes als die Verfassung ist das, was jetzt als Reformvertrag verkauft wird. Auf Symbolisches wie ein Bekenntnis zu Hymne und Fahne musste zwar verzichtet werden, doch dies wird sich aus Regierungssicht leicht verschmerzen lassen, schließlich sind etwa 90 Prozent des Kernpakets" gegenüber dem europäischen Verfassungsvertrag unverändert geblieben so die Worte des irischen Ministerpräsident Bertie Ahern. Valéry Giscard d´Estaing, als ehemaliger Präsident des Verfassungskonvents der Architekt des Verfassungsvertrags, ging noch weiter:
Mit der Einigung auf den Reformvertrag habe man nur den Umschlag gewechselt. Der Brief im Innern des Umschlags ist nach wie vor der gleiche". Es handele sich um kosmetische Änderungen", die nur deshalb vorgenommen worden seien, damit der Vertrag nicht mehr aussehe wie die Verfassung und so leichter zu schlucken sei".
 
Damit haben die Regierungen erreicht, was sie wollten: Es gibt keine Änderung an der Ausrichtung des Vertrags, Wettbewerbsorientierung und Militarisierung sind weiterhin Programm. So massiv die Auseinandersetzungen im Vorfeld der Brüsseler Regierungskonferenz auch waren was die inhaltliche Ausrichtung der Verfassung betraf, gab es nie gravierende Differenzen. Im Gegenteil: Der neoliberale Inhalt der Verfassung, der maßgeblich zum negativen Votum der Bevölkerung in Frankreich und den Niederlanden geführt hatte, sollte unter allen Umständen bewahrt werden. Um die öffentliche Kritik zu bannen, mussten allerdings leichte Änderungen her. So wurde auf Betreiben des neu gewählten französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy zwar der Verweis auf den freien und unverfälschten Wettbewerb als Ziel der EU am Anfang des Vertrags herausgenommen die inhaltliche Substanz jedoch mit Hilfe eines Zusatzprotokolls durch die Hintertür genauso verbindlich wieder in den Vertragstext eingefügt. Sarkozy, der sich immerhin gerade anschickt, die französische Gesellschaft neoliberal umzugestalten, nutzte die perfekte Gelegenheit, sich vor dem Hintergrund des Non" im französischen Verfassungsreferendum als scheinbar gemäßigt zu profilieren. Er war nicht der einzige, der sich über seinen Verhandlungserfolg" freuen konnte: Beglückt stellte der europäische Unternehmerverband Businesseurope fest, alle seine Vorschläge seien umgesetzt worden seien, und auch EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes erklärte umgehend, dass die vorgenommene Änderung keinerlei Einschränkung für die Politik bedeute.
 
Grund zur Freude haben auch andere, allen voran die Rüstungslobby. Sie, die sich aufgrund der im Verfassungsvertrag festgeschriebenen Bestimmungen massiv für seine Annahme stark gemacht hatte, kann sich nun entspannt zurücklehnen, wurden doch sämtliche Regelungen des Verfassungsvertrags für den Militärbereich in den Reformvertrag übernommen. So hat die Aufrüstungsverpflichtung Bestand. Ebenso ist die Einrichtung einer Rüstungsagentur festgeschrieben wie auch eine enge Zusammenarbeit zwischen EU und NATO. Wie der Verfassungsvertrag bildet der Reformvertrag einen neuen Rechtsrahmen für globale Militärinterventionen und die Aufstellung von EU-Kampfeinheiten, zusätzlich soll militärische Hilfe für Drittstaaten bei der Terrorismusbekämpfung ermöglicht werden. Dazu kommt die für künftige Steigerungen von Militär- und Rüstungsausgaben nicht unwichtige Bestimmung, einen eigenständigen Militärhaushalt zusätzlich zu den Mitteln der einzelnen EU-Mitgliedstaaten einrichten zu können. Kurz und gut:
Sämtliche Kritik, die sich gegen den Verfassungsvertrag aufgrund seiner militärischen Ausrichtung und Schwerpunktsetzung richtete, bleibt bestehen. Auch der Reformvertrag ist ein Militärvertrag!

Europa gelingt gemeinsam" lautete das Motto der deutschen Ratspräsidentschaft. Die Bevölkerung ist dabei allerdings weniger gefragt. So erklärte der ehemalige Vizepräsident des Verfassungskonvents, Giuliano Amato, nach der auf dem Brüsseler Gipfel erfolgten Einigung, dass die Regierungschefs sich auf einen schwer lesbaren Text verständigt hätten, damit die Kernreformen nicht auf Anhieb erkennbar seien und sich Forderungen nach Referenden in den Mitgliedstaaten vermeiden ließen. Diese Rechnung scheint aufgegangen zu sein. Zur Ratifizierung des Reformvertrags reicht, im Gegensatz zur Verfassung, mit Ausnahme von Irland überall die Zustimmung der nationalen Parlamente aus. Damit ist das Risiko, bei direkter Beteiligung der Bevölkerung neuerliche ablehnende Voten wie 2005 in Frankreich und den Niederlanden zu erhalten, deutlich gesunken. Die Regierungen dürften darüber erleichtert sein. Demokratischer wird die EU so allerdings nicht.
 
Unerträglich waren die Konflikte im Vorfeld des Brüsseler EU-Gipfels. Insbesondere die Art der Auseinandersetzung mit Polen war abstoßend. Flankiert von massiven Hetztiraden in den Medien mit klar erkennbarem rassistischen Unterton wurde der Eindruck erweckt, Polen mit seiner durchaus zutreffenden Kritik an der Bevorzugung Deutschlands in der Stimmverteilung sei der einzig Schuldige an der Krise. Weit weniger wurde die britische Position kritisiert, obgleich diese zur Folge hatte, dass die Grundrechtecharta als ein zentrales Element des Verfassungsvertrags nunmehr weiter ausgehöhlt wird und für Großbritannien selbst gleich gar keine Wirkung mehr entfaltet. Dies weist darauf hin, dass es sich bei den Ausfällen gegenüber Polen nicht um einen harmlosen Streit unter Partnern handelte, sondern massive anti-polnische Ressentiments zu Tage traten.

Was der Öffentlichkeit nun als Erfolg der deutschen Ratspräsidentschaft präsentiert wird, könnte letztlich ein Scheinerfolg sein. Die existierenden Probleme in Europa sind nicht durch einen Formelkompromiss zu klären. Auch wenn es gelingt, den Reformvertrag schnellstmöglich und unter weitestgehender Ausklammerung einer öffentlichen
Debatte den Reformvertrag unter Dach und Fach zu bringen, so zeigt das bisherige Vorgehen doch, dass es mit der europäischen Einigung so weit her nicht ist. Der Versuch, ein Europa der Regierungen über die Interessen der Bevölkerung hinweg durchzusetzen, mag noch gelingen. Europa den Menschen näher zu bringen, wird so allerdings nicht
zu schaffen sein. Mit der Einigung auf den Reformvertrag wurde die Chance vertan, endlich eine Kursänderung einzuleiten und ein anderes, besseres Europa zu begründen. Kein Europa der Konzerne, wie es in Verfassung und jetzt Reformvertrag verankert ist, sondern ein soziales und demokratisches Europa, in dem die Menschen den Mittelpunkt
bilden. Widerstand gegen den Reformvertrag bleibt deshalb so nötig wie gegen die Verfassung!

(Quelle: marx21.de)